die Form der verschiedenen heidnischen Religionen - die verschiedenen Pantheons, die Rituale - sind natürlich wesentlich und ich begrüße die Rekonstruktionsarbeit der GGG. Aber ich interessiere mich im Moment mehr für den Inhalt dieser Religionen. Ich bin mir bewusst, dass es sich um nicht-dogmatische Religionen handelt und dass die Antworten möglicherweise nicht bekannt sind. Dennoch möchte ich ein paar Fragen zur altgermanischen Religion stellen, in der Hoffnung, dass der eine oder andere von Ihnen einen Hinweis geben kann:
1. Haben die alten Germanen an ein Leben nach dem Tod geglaubt? Ich kenne natürlich die Walhalla, aber wenn ich mich nicht irre, war sie für die besten Krieger, die in der Schlacht starben. Was ist mit Nicht-Kombattanten, Müttern usw.? Glaubten sie an die Existenz der Seele oder an ein entsprechendes Konzept? Glaubten sie an Reinkarnation, wie in östlichen Religionen?
2. Welchen Platz nehmen die Götter in Ihrem Glauben ein? Haben sie eine reale Existenz? Sind sie Archetypen?
Für Ihre Antworten bedanke ich mich im Voraus, mit freundlichen Grüßen,
wie Du schon schriebst gab es die Vorstellung von Walhall. Diese ist aber sehr vikingerzeitlich bedingt. Darüber haben Forscher wie Otto Sigfrid Reuter schon ausführlich geschrieben. In der ältesten Vorstellung der Germanen sind Walhall und das Reich der Frau Holle (die Göttin Frigg) identisch - ist ja auch logisch, warum sollten Wodan (Ódinn) und Seine Frau Fria (Frigg) an getrennten Orten wohnen? Zu diesem Totenreich führt die Brücke Bifröst/Argjöll, und de Seelen, die da hinüber gelangen, kommen in dieses schöne Reich der Götter Wodan und Fria. Die Brücke aber scheidet die Guten von den Bösen, die Bösen fallen von der schwankenden Brücke und kommen in die Straforte (Hel, Niflheim). Diese Vorstellung ist jahrtausende alt, schon bei den Parsen in der Zend-Avesta des Zarathustra vorhanden (1. oder 2. Jahrtausend vor unserer Zeit). Daß Frauen und Mütter zu Fria (Frau Holle) kommen, ist aus dem Märchen bekannt, und jungfräuliche Frauen wie Männer kommen zu Frowa (Freyja). Und auch zu Donar (Thorr) kommen Verstorbene. Das richtet sich wahrscheinlich nach dem Interesse der Seele, ihren guten und bösen Taten und ihrem Stand. Die Re-incarnation findet sich in den drei Helgiliedern der Edda, der Held wird da in drei Inkarnationen geschildert, seine Geliebte, die Valkyre Svava auch. Der Karma-Gedanke ist nur angedeutet: So heißt es über die gerade geschaffenen ersten Menschen, sie seien "örlöglaus"; örlög (= Urlag) ist eine Art Urgesetz, welches das Schicksal regelt. Die ersten Menschen hatten unbestritten ein Schicksal, aber noch kein "Karma", keine Belastung aus früherenm Leben, daher "örlög-los". "Örlög" muß also das Karma bezeichnen. Und von Brynhild, die den Nibelungen so viel Ärger brachte, heißt es in der Edda:
>Verleid ihr niemand den langen Gang (= den Tod), Und werde sie nimmer wiedergeboren (reincarniert). Sie kam schon krank vor die Knie der Mutter (= war also schon vor der Geburt "krank", karmisch belastet) Zu allem Bösen geboren ist sie uns, Manchem Manne zu trüben Mut.<
Hier wird negatives Karma mit Krankheit umschrieben.
Nun zu den Göttern: Wir glauben, daß die Götter real existieren, als Wesenheiten. Deswegen können wir mit Ihnen kommunizieren oder Sie z. B. im Taum sehen. Die Kräfte der jeweiligen Gottheit erkennen wir aber auch in den Naturerscheinungen. Das sind sozusagen in unserer stofflichen Welt vorhandene Kräfte, die wir den Gottheiten zuordnen, ohne daß deswegen die Gottheiten mit diesen Kräften identisch sind oder außerhalb derselben nicht existieren würden. Donars Kraft erkennen wir z. B. im Gewitter, aber auch der Planet Jupiter ist Ihm zugeordnet. Dieser Planet fängt Meteoriten ein, die sonst auf die Erde kommen würden und hier alles zerstören. So sind diese Meteoriten auch mit den götter- und menschenfeindlichen Riesen zu identifizieren und Donar bekämpft sie, um Midgard (die Erde) zu schützen. Auch der Ziegenbock ist Donar geweiht, der Bär, der Mistkäfer (Thorbaggen), die Eiche, die Kiefer, die Eberesche, der Donnerkeil, der Hammer, die Königskerze, der Klatschmohn und hunderte weiterer Pflanzen und Tiere. Alle wirken ähnlich und passen zu Donars Kraft und wir sehen in ihnen daher auch Seine Kraft, ohne daß wir sie mit dem Gott gleichsetzen.
Vielen Dank für Deine Antwort und für das Teilen Deiner Gelehrsamkeit Geza. Ich bin froh, einen ernsthaften heidnischen Kreis gefunden zu haben, für den alles nicht nur Mythologie ist, sondern der wirklich danach strebt, die Spiritualität unserer Vorfahren wiederzuentdecken. Wenn es Dir nichts ausmacht, habe ich noch ein paar Fragen zu Deiner Antwort.
1. Wenn ich es richtig verstehe, ist das Walhall die Adaption eines heidnischen Paradieses, das ihnen vorausgeht und das nicht nur für Krieger, sondern für jeden gerechten Menschen bestimmt ist, für ein Kriegervolk - die Wikinger -. Bedeutet dies, dass sich im Reich von Frau Holle Seelen über den Tod hinaus finden lassen?
2. Wie lassen sich die beiden Konzepte des Lebens nach dem Tod und der Reinkarnation kombinieren? Schließen sie sich nicht gegenseitig aus?
3. Glaubst Du, dass es eine Ähnlichkeit zwischen der Spiritualität unserer Vorfahren und dem Hinduismus gibt?
4. Auch ich bin geneigt, an die Existenz von Göttern zu glauben, an ein unsichtbares Universum, das sich in unserem eigenen manifestiert. Glaubst Du, dass die Götter in unsere Welt eingreifen und unsere Gebete erhören, wie in den europäischen Mythologien beschrieben?
Deine erste Frage verstehe ich leider nicht so richtig. Vielleicht hilft es, wenn ich darlege, wie ich mir das vorstelle (was ich auf die Quellen stütze). Es gibt Seelen, die ihre Entwicklung auf der Erde abgeschlossen haben - sie kommen nach Gimlé oder Vingolf, also in eine wunderschöne, höhere Welt. Dann gibt es Seelen, die noch nicht vollkommen sind, diese werden nach einer bestimmten Zeit wiederverkörpert. Sie kommen zu Frau Holle bzw. Walhall. Bekanntlich bereiten sich die Kriegerseelen in Walhall noch auf den "letzten Kampf" vor, und das verstehe ich als "Lebenskampf", als "Lebensaufgabe" eines weiteren Lebens. Auch die Mädchen, die bei Frau Holle sind (Goldmarie und Pechmarie) werden ja wiederverkörpert, mit gutem (Goldmarie) oder schlechtem (Pechmarie) Karma. "Und das Pech [auch übertragen zu verstehen] blieb an ihr haften ihr Leben lang" heißt es im Märchen, während sich normales Pech (Teer) abwaschen ließe. In den Sagen ist aus diesem Walhall der "Nobiskrug" geworden, ein Gasthaus für die Seelen, die noch nicht in den Himmel können und auch nicht in die Hölle müssen.
2. Natürlich findet eine Reincarnation nicht sofort im Anschluß an den Tod statt. Da gibt es eine Zeit des Aufenthalts im Jenseits mit Unterrichtung, auch Prüfungen und Vorbereitung auf ein mögliches nächstes Leben. Ist ja auch im Frau Holle-Märchen so, denn die Mädchen sterben, als sie in den Brunnen fallen/springen (der "Tunnel", den Sterbende wahrnehmen), und sind nun eine Weile bei Frau Holle, bis sie Heimweh bekommen und wieder auf die Erde inkarnieren. Es gibt nun ganz verschiedene Vorstellungen, wie lang die Zeit im Jenseits ist. Manche sagen: 144 Jahre (12 x 12), die Inder lehren, daß wir aus unsern Ur-Urgroßeltern stammen. Wenn jede Generation mit 25 Jahren berechnet würde, wären das etwa 100 Jahre. Bei den Germanen versuchte man, im Enkel den jeweilig dort wiedegekehrten Ahnen zu erkennen (Enkel = Ahn-kel = kleiner Ahne), d. h. man geht von der Wiedergeburt irgendeines schon verstorbenen Vorfahren aus. Der - da war man sich sicher - wird versuchen, in derselben Familie zu inkarnieren. Aber heute, wo "Familie" und "Sippe" nicht einmal den Lebenden viel gelten, wird man kaum annehmen können, daß sich Verstorbene nun gerade in ihren Nachkommen in einer schmuddeligen Hochhauswohnung verkörpern wollen. Anders ist es bei reichen Familien, die traditionell denken. Wenn die Nachkommen immer noch im selben Schloß leben, wo die Vorfahren auch lebten, dann werden die sich vielleicht auch gerne dort wiederverkörpern. Auch heißt es, daß die Wiederverkörperung nur dann geschehen kann, wenn ein bestimmter Gestirnsstand (Horoskop) eintritt, der dem Karma der Seele, die wiedergeboren werden soll, entspricht. Das wird ja nicht allzu oft sein.
3. Ich habe den Hinduismus (genauer gesagt: den alten Hinduismus, die vedische Religion) immer als indische Erscheinungsform unserer heidnischen Religion gesehen und mache das immer noch. Für mich ist Shiva (Rudra) = Wodan, Indra (und später Vishnu) = Donar, Ganesha = Heimdallr, Durga = Fria, Rati = Frowa, Saraswati = Sunna usw. Nur wenn moderne Hinduisten alle Hindugötter als Erscheinungen eines Gottes erklären, dann lehne ich das ab, denn es ist nur ein Versuch, dem monotheistischen Islam entgegenzukommen und nicht spirituell begründbar.
4. Ja, davon bin ich überzeugt, daß die Götter existieren. Aber genauso ist mir auch bewußt, daß Gebete oft nicht erhört werden, einfach aus karmischen Gründen. Würde jedes Gebet, egal um was es geht, erhört werden, dann würden die, die gerade nach dem Amt des Bundeskanzlers streben, die frömmsten Beter werden. Ich glaube, daß wir das sicher begründbare und beweisbare Faktenwissen, daß es die Götter gibt und Sie uns helfen können, nicht bekommen dürfen, denn wir sollen ohne Beweis an die Götter glauben, ohne Spekulation auf materiellen Reichtum uns von unserem Inneren her Ihnen zuwenden. Denn das Leben ist eine Prüfung, wir müssen die Aufgaben lösen, ohne ein Lehrbuch zur Hand zu haben. Anders gesagt: Berechnung, Erwartung von Gewinn dürfen nicht unsere Antriebe sein, es muß die Sehnsucht unseres Herzens unseren Weg zu den Göttern bewirken.
Vielen Dank für Deine umfassenden Erklärungen Geza. Dies ist die vollständigste Darstellung des alten germanischen Glaubens, die ich je gelesen habe. Dank Dich habe ich jetzt eine bessere Vorstellung davon, was die Spiritualität unserer Vorfahren war. Hat die GGG eine Gruppe in Baden-Württemberg? Mit freundlichen Grüßen,
Ich bin der Spiritualität unserer Vorfahren zugeneigt und glaube an die Bedeutung von Gemeinschaft und Ritual. Aber wie meine Fragen zeigen, bin ich nicht religiös gebildet. Zumindest noch nicht ;) Ich bin auch völlig unwissend, was Rituale angeht.
Ich kann mich also um den organisatorischen Teil kümmern (Leute kontaktieren, Fragen beantworten, Treffen arrangieren, die Räumlichkeiten reservieren, die Rituale vorbereiten, usw.), aber ich werde nicht in der Lage sein, die Rituale durchzuführen. Erstens wäre es seltsam, eine germanisch-heidnische religiöse Zeremonie von jemandem mit starkem französischem Akzent zelebrieren zu lassen :)
Deine Idee ist aber gut. Wie würdest Du vorgehen, um anzufangen und Gläubige in Deinem Gebiet zu sammeln?
bei mir ist es auch so, dass ich noch keinen Anschluß an eine Gemeinde habe und ich auch in meiner Umgebung niemanden kenne. Aber ich bin auch noch mit der Lektüre beschäftigt und will mich noch weiter einlesen. Geza und Catrin von Nahodyl haben mehrere Bücher veröffentlicht, die sehr überzeugend den Glauben, die Sitten und Gebräuche rekonstruieren und darlegen. Auch die Übersetzung der Edda von Geza empfehle ich hiermit. Geza hat berichtet, dass er selber einfach einen Aushang gemacht hat, worauf sich dann Leute gemeldet haben, die auch mehr über den heidnischen Glauben wissen wollten. So kann man bestimmt Leute in der eigenen Umgebung finden. Es gibt noch die Möglichkeit einer zentralen Mitgliedschaft oder nur das Abo für das Heft Germanenglaube. Ansonsten gibt es überregional diesen Allthing. Und das war's auch schon.
warum sollte es seltsam sein, wenn du mit französischem Akzent sprichst????
Ich würde zwecks Ansprechpartner Geza anfragen und du wirst dann ggf. als Ansprechpartner für dein Bundesland oder deinen Landkreis gelistet. Dann kann dich jeder Interessent ansprechen. Werbung kann man immer machen. Wenn du Student bist, empfiehlt sich ein Aushang in der Uni oder sonst wo, wo man etwas anbringen kann. Oder Facebookgruppen und dort fragen, ob jmd. aus der Nähe kommt. Für mich war und ist wichtig, daß es auch menschlich passen muß.
plusque ibi boni mores valent, quam alibi bonae leges. Germania XIX
Wir haben ja unsere GGG-Facebook-Gruppe, auch da kann man Werbung machen. Oft melden sich auch Leute, die selbst zu Themen etwas sagen können und sich also einbringen. Wenn man zuviel selbst anbietet, lockt man nur Konsumenten an.
Ich hatte angefangen 1982 (oder früher) mit kleinen Inseraten in der Programmzeitschrift "Zitty" in Berlin, hatte auch einen Aushang in der Yggdrasil-Buchhandlung gemacht, einem sehr kleinen Laden mit esoterischen Büchern. In der Mensa der FU und TU haben wir später Flugblätter verteilt und bei den Archäologen und Skandinavisten Aushänge gemacht. Als wir dann eine kleine Gruppe zusammenhatten, machten wir ab und zu Vorträge und inserierten die auch in Zitty und Tip, dadurch kamen Interessenten. Heute läuft mehr über Stammtische und das Weltnetz, aber das ist ja auch gut.
Vielen Dank an Euch alle für Eure Antworten, das sind alles gute Hinweise, die ich verfolgen werde, vor allem die sozialen Netzwerke. Ich werde schon mit der Lektüre von Gezas Büchern beginnen, angefangen mit "Götter, Mythen, Jahresfeste - Heidnische Naturreligion". Andererseits Heidabyr, was die Zeitschrift Germanenglaube betrifft, habe ich alle GGG und Gezas Seite durchforstet, ich konnte sie nicht finden. Hast Du bitte einen Link?